LeserInnenbrief zum EMMA-Artikel Ausgabe Herbst 2010
„Wie eine 79-Jährige den Sex entdeckt“
05.06.2011
Sehr geehrte Frau Schwarzer, sehr geehrte Redaktion,
in der EMMA Ausgabe Herbst 2010 wurde der Artikel „Wie eine 79-Jährige den Sex entdeckt“ veröffentlicht.
Auf Seite 114, 2. Spalte, Mitte heißt es darin über Männer (Zitat): „Viele von ihnen haben im Alter von 14, 15, 16 sexuelle Erfahrungen mit älteren Damen gemacht, die sie nicht vergessen können. Seither suchen sie immer wieder ältere Frauen, mit denen sie ihre frühen Erfahrungen wiederholen können.“
Diese Aussage im Gespräch mit Frau Vavrik bleibt sowohl von der Interviewerin Frau Lukesch, als auch von der EMMA-Redaktion unkommentiert stehen.
Welche Aussage wird damit - jenseits von Frau Vavriks persönlicher Lebenserfahrung - seitens der EMMA-Redaktion getroffen?
Welcher Eindruck wird hier bei den LeserInnen der EMMA erweckt?
Sieht EMMA einen Unterschied bzgl. der Schutzaltersgrenze für Mädchen und Jungen?
Will EMMA tatsächlich sagen sexuelle Übergriffe an minderjährigen Jungen seien selbstbestimmte „sexuelle Erfahrungen“, an Mädchen des selben Alters jedoch sexueller Missbrauch?
Wird sexueller Missbrauch an Mädchen - zurecht(!) - von EMMA seit Jahrzehnten ins öffentliche Bewusstsein gehoben, der Missbrauch an Jungen jedoch systematisch bagatellisiert und vertuscht, wenn er bis heute als „sexuelle Erfahrung“ bezeichnet wird?
Diese Haltung der Relativierung des Leids durch sexuellen Missbrauch der Jungen von EMMA zeigt sich unseres Erachtens bereits in der Einleitung zu dem Artikel „Man macht es mit sich selbst aus“ derselben Ausgabe.
Die letzten Sätze auf Seite 54 (Zitat: „ ...„Mädchen, die missbraucht werden, übernehmen häufig die Rolle der Lolita. Jungen die des Aggressors.“
Zeit also, auch über den Missbrauch von Jungen zu sprechen.“) legt nahe, dass EMMA nur deshalb eine Notwendigkeit der Auseinandersetzung sieht, um Mädchen vor potentiellen zukünftigen Tätern zu schützen, nicht jedoch um für das Recht auf Unversehrtheit von männlichen Kindern & Jugendlichen einzutreten.
Kann für die EMMA-Redaktion diese geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung in der Veröffentlichung von Unrecht und Gewalt durch sexuellen Missbrauch an Mädchen bzw. Jungen tatsächlich einem Zuwachs an Gleichberechtigung, Verständnis und Mitgefühl zwischen Frauen und Männern dienen?
Angesichts unserer Erfahrung als BeraterInnen und TherapeutInnen, die insbesondere mit Frauen und Männern arbeiten, die in ihrer Kindheit und Jugend Opfer sexuellen Missbrauchs wurden, bleibt völlig unverständlich, wie die EMMA-Redaktion solche Aussagen unkommentiert stehen lassen bzw. sogar selbst treffen kann.
Wir sehen die Notwendigkeit einer öffentlichen Richtigstellung, da ansonsten Emma zum Einen den sexuellen Missbrauch an männlichen Jugendlichen verharmlosen und zum Anderen eine Straftat nicht offen legen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Dachsel (1.Vorsitzende)
Corinna Wild (2.Vorsitzende)